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9.2. 2024

Bäuer:innenproteste: Wo sind die Machthebel in der Schweiz?

Bäuer:innenproteste: Wo sind die Machthebel in der Schweiz?

Sowohl in Deutschland und Italien als auch in Frankreich und in der Schweiz gehen Bäuerinnen und Bauern auf die Strasse, um für bessere Bedingungen in der Landwirtschaft zu protestieren. Während in Deutschland und Frankreich die Proteste sich insbesondere gegen die Politik richten, ist es in der Schweiz eine andere Ausgangslage: denn hier hat seit einigen Jahren der Bauernverband bei den entscheidenden Geschäften (seit Sistierung der AP 22+) die Mehrheiten. Die Machtverhältnisse in der Wertschöpfungskette konnte aber auch der Bauernverband in der Schweiz bisher nicht gross beeinflussen. Fakt ist: ohne entscheidende Veränderungen im Detailhandel, in der Verarbeitungsindustrie und beim Grenzschutz werden es auch die Schweizer Bäuerinnen und Bauern weiterhin sehr schwer haben. Sie stehen in den Preisverhandlungen und innerhalb der Wertschöpfungskette mit dem Rücken zur Wand und es wird immer schwieriger Betriebe ökonomisch rentabel zu bewirtschaften.

Aus diesem Grund sind in der Westschweiz am 3. Februar rund dreissig Landwirt:innen mit ihren Traktoren nach Genf gefahren. Es sind mehrheitlich Junglandwirt:innen zwischen 25 und 35 Jahren, die sich für eine bessere Zukunft ihrerseits einsetzen. Auch wenn die Schweizer Bauern im Bundeshaus gut vertreten sind, scheint ihre Macht gegenüber dem Detailhandeln bis anhin eher schwach aufgestellt zu sein. Mit ihrer Aktion in der Westschweiz richten sich die Protestierenden ausdrücklich an den Detailhandel und fordern eine bessere Entlöhnung ihrer Produkte. Landwirt Christian Hofmann aus Avry FR betont in einem Interview gegenüber der Bauernzeitung, dass es sich bei diesen Protesten in der Schweiz um eine friedliche Aktion handelt: «Wir wollen nichts zerstören oder der Bevölkerung, die uns unterstützt und hinter uns steht, Schaden zufügen.»
Verständnis für den Unmut der Landwirte hat die Agrarbiologin Angelika Hilbeck, wie sie in einem Interview gegenüber der WOZ erklärt: «Das System hatte nie das Wohl der Bauern im Sinn.» Sie betont aber auch klar, dass die Landwirt:innen eine Mitverantwortung für die heutige Situation tragen, doch andere Lösungen gebe es bereits. Der limitierende Faktor für eine ökologische Transformation ist laut der Wissenschaftlerin «der mangelnde Schulterschluss unter der Bauernschaft, die sich immer noch gegeneinander ausspielen lässt».

Auch der Schweizer Bauernverband macht sich für die Anliegen der Bauern stark. Der Verband verkündet aber in einer Mitteilung, dass Proteste auf der Strasse in der Schweiz nicht zielführend seien und er hat nun eine Petition lanciert. In dieser wird eine bessere Anerkennung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen aus der Landwirtschaft und insbesondere eine bessere Preispolitik gefordert.

Die Kleinbauernvereinigung stellt sich auf den Standpunkt, dass der Schweizerische Bauernverband aktuell mehr Teil der Ursache anstatt der Lösung für die Probleme in der Landwirtschaft sei. Sie fordert, dass den Verstrickungen zwischen bäuerlichen Politikern und (Agrar-)Konzernen ein Riegel geschoben wird, nur so könne das Hofsterben gestoppt und eine zukunftsfähige Landwirtschaft gestaltet werden.

Dass verschiedene Verbände nun auch unterschiedlich auf die Landwirtschafts-Proteste in Europa reagieren, ist bemerkenswert und zeigt auf, dass wir bei dem geforderten Schulterschluss noch nicht angekommen sind. Dieser wird nun insbesondere für die Ausgestaltung der Agrarpolitik 2030 nötig sein, um substantielle Verbesserungen für die Schweizer Landwirtschaft zu erreichen. Dies wird nur gelingen, wenn sich der Fokus von den sogenannten «Umweltauflagen» verlagert auf die wirkliche Herausforderung: ein zukunftsfähiges Ernährungssystem, in welchem die Politik Rahmenbedingungen für die ganze Wertschöpfungskette definiert und verbindliche Spielregeln auch für die grossen Wirtschaftsakteure im Lebensmittelsektor gelten. Dazu braucht es auch eine starke Allianz in der Politik nicht nur für Interessen der Landwirtschaft, sondern auch für eine gesunde Ernährung und einen nachhaltigen Konsum. Dazu müssen sich alle Akteure und Verbände einen Ruck geben, denn es ist wesentlich einfacher, in den alten Grabenkämpfen zu verharren und Schuldzuweisungen zu verteilen, anstatt konkrete Lösungsvorschläge vorwärts zu bringen.

Für die Agrarpolitik 2030 gibt es durchaus Zeichen, die hoffnungsvoll stimmen. Der Prozess der vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) gestartet wurde, stimmt zuversichtlich, da er Rahmenbedingungen schafft, die unterschiedlichsten Organisationen und somit neue Perspektiven an einen Tisch zu bringen. Es ist höchste Zeit für eine konsequente Neuausrichtung sowohl des Direktzahlungssystems als auch der gesamten Agrarpolitik. Die ersten Informationen bezüglich der AP30+ stimmen zuversichtlich, dass dieser Wandel hin zu einer umfassenden Ernährungspolitik gelingen kann. Es braucht nun aber ein klares Bekenntnis der gesamten Wertschöpfungskette und auch aller beteiligten Bundesämter sowie der gewählten Volksvertreter:innen in Bundesbern, diesen wichtigen Wandel mitzutragen. Dies ist nicht nur für das Klima und die Biodiversität match-entscheidend, sondern auch für viele soziale und wirtschaftliche Herausforderungen, welche die Schweizer Landwirtschaft hat. Besser, wir gehen diese Herausforderungen nun an und suchen Lösungen, anstatt dass wir weiter den Stillstand bewirtschaften und dadurch die Probleme noch grösser werden lassen.